In der Zeit, da die ersten Siedler die Pfähle zu ihren Hütten in unsere Erde schlugen, wurde einmal auf der Aue am Oelsabach ein großes Turnier abgehalten. Viele Ritter von nah und fern beteiligten sich an dem Reiten. Plötzlich entdeckte einer der hohen Herren, dass ihm sein kostbarer Ring abhandengekommen war. Der Verdacht lenkte sich auf einen jungen Knappen, der als einziger in seiner Nähe gewesen war. Dieser beteuerte zwar seine Unschuld, doch wurde er vor das Standgericht gebracht und, da er wegen seiner Tüchtigkeit viele Neider hatte, zum Tode durch das Schwert verurteilt.
Schon kniete der arme Junge inmitten eines großen Kreises Neugieriger auf dem Plan und der Henker hob das Schwert zum Streich – da flog mit lautem Gekreisch ein Rabe dicht über die Köpfe der Menge hin. Alle waren über das Ereignis bestürzt. Man vermutete sogleich, Gott habe ein Zeichen gesandt, und der Herr des Turniers winkte dem Henker, sein tödliches Instrument einstweilen zu senken. Einige Männer folgten dem Flug des schwarzen Vogels und entdeckten dessen Nest auf einem nahen Baum. Einer von ihnen stieg hinauf, untersuchte den Horst und fand in einem Gewirr von Halmen und Zweigen den vermissten Ring. Der Ritter hatte ihn wohl nach dem Lanzenstechen selbst mit dem Handschuh vom Finger gestreift, der Rabe hatte das glänzende Ding im Grase gesehen und gestohlen.
Fanfaren verkündeten bald weit über die Schranken des Turniers hinaus die Unschuld des Knappen; und weil jedermann – betroffen über das soeben Geschehene - an dem Jüngling wiedergutmachen wollte, was der Neid ihm Böses zugeflüstert, so kamen noch am selben Tage dessen mannigfaltige Verdienste im Turnierlager laut zur Sprache und drangen bis zu den Ohren des Fürsten.
Und so geschah es, dass, als das glänzende Fest zu Ende ging, der Knappe wiederum im Umkreis vieler Schaulustiger auf der Aue kniete, diesmal aber vor dem Landesherrn, und wiederum wurde ein scharfes Eisen über ihm geschwungen: das Schwert, das ihn zum Ritter schlug. Er erhielt die ganze Aue mitsamt der noch namenlosen Siedlung zu Lehen, führte fortan den Raben mit dem Ring im Schnabel auf dem Helm und gab seinem Besitz den Namen „Rabenaue“.
(zitiert nach Sagen und Verse links und rechts der Weißeritz, 2. Aufl., Rabenau, 1996, S.40)
Interessant an der letzten Geschichte ist vor allem das Ende, denn die Rabenaus führen ja tatsächlich den Raben auf dem Helm und nicht, wie man es hier nach dem Ausgang der Geschichte hätte erwarten können, im Schild.
Eigentlich müsste der Rabe sich im Wappenschild befinden. Merkwürdiger Weise sitzt er aber auf dem Wappen, und man fragt sich, warum dies wohl so ist? Im Wappenschild selbst sehen wir nämlich einen Steinbock. Hier stellt sich die Frage, wie kam es dazu?
Bilder im Schloss von Meran/Südtirol haben eine Legende zum Inhalt, die sich um Kaiser Maximilian rankt. Zur Auffrischung der Geschichtskenntnisse sei erwähnt, dass Kaiser Maximilian der Sohn von Kaiser Friedrich III. war und von 1493 bis 1519 regierte. Er war seit 1486 deutscher König und nahm ohne päpstliche Krönung 1508 den Titel “erwählter römischer Kaiser“ an. Maximilian war reich begabt, vielseitig gebildet, beherrschte die ritterlichen Künste und Fertigkeiten, er war Schriftsteller und Humanist. Seit dem Tod von Sigismund von Tirol und dem seines Vaters beherrschte er alle Habsburger Länder, so auch Tirol. Wegen seiner strategisch günstigen Lage bildete Tirol das Zentrum seiner Regierung.
Doch nun zurück zum Steinbock im Rabenauschen Wappen.
Kaiser Maximilian hatte sich bei einer seiner Jagden verstiegen und war auf einem Felsvorsprung in der Martinswand bei Innsbruck in eine schier ausweglose Situation geraten. In mehreren Bildern wird gezeigt, wie ein junger Waidmann – teils auch als Engel dargestellt – den Kaiser rettet und sicher zurück ins Tal führt. Der Waidmann war ein Ritter namens Rabenau und stand in kaiserlichen Diensten. Als Dank für seine Rettung verlieh der Kaiser dem Ritter einen Steinbock als Wappentier. Seit dieser Zeit führen die Rabenaus den Steinbock im Wappenschild und den Raben über dem Wappenschild.
aufgezeichnet im Juli 2013 von
Adelheid und Hans-Heinrich Dördrechter